Freitag, 26. Oktober 2018

Steine

Oder: 6 Monate danach ... 

Herzlich willkommen zu meinem heutigen Freitagsblog. ;) 

Heute, auf den Tag genau, ist es 6 Monate her, dass ich die Klinik verlassen habe. 
Noch immer werde ich oft gefragt, wie es mir geht. (Ihr seid soooo zuckersüß! Ich habe echt die besten Freunde/Leser/Kollegen überhaupt! 💖)

Um es kurz zu sagen - gut! 😊 Aber dafür hätte ich wohl keinen Blog anfangen müssen. 
Außerdem habe ich ja in der Klinik gelernt, gut ist kein Gefühl ... (Scheiße übrigens auch nicht ... 😜 ) 

Okay, ernsthaft. Sechs Monate sind vergangen, in denen ich mich hier in der "großen, bösen Welt" wieder zurechtfinden muss. Der Anfang war nicht so leicht, denn die Welt kam mir in den ersten Wochen tatsächlich riesig vor - und ich war nur ein kleines Staubkorn, das irgendwie glücklich sein wollte. 

Es gab gute Tage und es gab weniger gute, doch die guten wurden zusehends mehr! 😊

In der Klinik war das Lied "Steine" von Bosse eine Art "Stationshymne". Kennst du das? 
Denn genau das ist es, was wir dort gemacht haben, was ich bis heute immer mal wieder mache. Der Text trifft es auf den Punkt genau und es ist für mich seitdem ein ganz besonderes Lied, das mich immer wieder an Menschen erinnert, die seitdem ein Teil meines Lebens sind. Es erinnert mich aber auch an Menschen, die mich eine Zeit lang begleitet haben und an Menschen, die wieder gegangen sind. 

Im Laufe des Sommers, mit viel Geduld und großartigen Leuten, die hinter mir standen, verschwanden auch die letzten grauen Tage. 💕
Ich habe in der Klinik viel gelernt und ich habe nach der Klinik noch mehr gelernt. 
Ich kenne nun zwei neue Wörter, die ich zwar vorher theoretisch auch schon kannte, die ich jedoch viel zu selten verwendet habe ... 😉

"Nein!" und "Stopp!" 

Natürlich in verschiedenen Abwandlungen. 😉 Nicht jeder in meinem Umfeld kam oder kommt damit klar, dass ich nun diese neuen Wörter kenne und auch verwende. 
Manche, von denen ich es nie gedacht hätte, haben deshalb mein Leben verlassen. Sie können nicht akzeptieren, dass ich "Stopp!" sage, dass ich auch mal "Nein!" sage oder meine Freiheit, meine Auszeit fordere und meine eigenen Bedürfnisse über die der anderen stelle. Auch wenn ich es schade finde, muss ich es wohl akzeptieren. Denn noch eins habe ich in der Klinik gelernt: Ich bin gut so, wie ich bin, auch wenn ich nicht mehr (oder nicht immer) so funktioniere, wie andere es gern hätten. 

Dennoch ... 

Ich bin perfekt - perfekt unperfekt! 😉

Und genau so möchte ich sein. 

In der Klinik habe ich Menschen kennengelernt, die mir wahnsinnig wichtig waren. Freunde ... (Zumindest empfinde ich es so.)

Manche von ihnen sind noch immer bei mir und wir haben regelmäßig Kontakt. Wir erzählen uns, was gut läuft und auch, wo es hakt. Es tut mir gut, mich mit Menschen auszutauschen, die diese gemeine Krankheit kennen, die von den Stolperfallen wissen und mich dadurch ganz anders verstehen, als ein Außenstehender es könnte. 

Andere hingegen sind gegangen, obwohl ich sie gern als Freunde behalten hätte. 
Sie fehlen mir auch nach Monaten ohne Kontakt noch immer und ich denke oft daran, wie es ihnen wohl gerade geht.
Wir haben (für mich) ganz besondere Momente miteinander geteilt, in der Klinik und nach der Klinik, die ich garantiert nie vergessen werde. 
Ein kleiner Teil in mir hofft noch immer, dass irgendwann das Telefon piept und eine WhatsApp oder ein Anruf eingeht. Dass diese Menschen mich genauso wenig vergessen haben wie ich sie. 
Wer weiß, vielleicht geht dieser Wunsch ja irgendwann in Erfüllung. 
Vielleicht kehren diese Menschen zurück ... Irgendwann ... Ja, das wäre schön! 💕

Ansonsten bin ich da, wo ich sein möchte. Ich bin wieder ich - ich hatte mich nur zeitweise selbst verloren. 

Ich schreibe, weil mein Herz es so will. 
Weil ich es liebe und weil ich es lebe. 

Ich habe es geschafft, das erste Buch als Juli fertigzustellen. Neues Leben, neuer Name - das haben wir ja bereits im Januar besprochen ... 😉 Nun ist es endlich soweit. 

Mit "Schmetterlinge fliegen leise" zeige ich euch die "neue" Juli und ich hoffe, es gefällt euch ebenso wie mir, denn dieses Buch ist für mich ein ganz besonderes Herzensbuch! 💕

Ein Teil von mir steckt natürlich auch darin - so wie in jedem Buch. 😉  
Das erste Kapitel ist komplett real - aber wer hier regelmäßig mitliest, weiß das ja längst. 😜
Und auch im restlichen Buch steckt viel von mir. 

"Schmetterlinge fliegen leise" ist der erste Teil meiner neuen Reihe. Keine Sorge, bei mir gibt es keine fiesen Cliffs und das Buch ist komplett in sich abgeschlossen. 😉
Der nächste Teil erscheint vermutlich bereits Anfang 2019 - denn ich bin schon wieder fleißig am Schreiben. 

Aber vorerst wünsche ich dir viel Freude mit Nele und Paula in Colins Creek! 💗
Falls du zuschlagen möchtest - das E-Book gibt es derzeit für nur 99 Cent zum Einführungspreis. 😉 Schaust du hier: *klick* 🦋💞

Liebe Grüße 
Deine Juli 💞



Freitag, 19. Oktober 2018

Kuschelkeks

Na, hast du genug vom warmen Wetter und sehnst dich nach dem Winter? ⛄ 
Träumst du schon von langen Spaziergängen im Schnee? 
Davon, dich danach vor einem Kaminfeuer bei einer Tasse Tee oder heißer Schokolade wieder aufzuwärmen? 🍵
Dann habe ich vielleicht was für dich ... 😊💕

Viel Spaß beim heutigen Blog. 
Deine Juli 💞




Meine Flucht


Es war bereits dunkel, als ich auf den kleinen Parkplatz hinter dem Lüneburger Rathaus fuhr. Seufzend stellte ich den Motor meines schwarzen SUV ab und lehnte mich in den lederbezogenen Sitz zurück. Für einen Moment schloss ich meine Augen. Ich war endlich angekommen. Nach fast neun Stunden Fahrt quer durch Deutschland hatte ich mein Ziel erreicht. Diese kleine Stadt im Norden unseres Landes sollte mein neuer Anfang sein, hier würde ich meine Ruhe haben, hoffte ich.
Ich spürte, wie ich anfing, wegzudämmern, und riss mit Gewalt meine Augen wieder auf. Nicht einschlafen, nicht hier auf dem Parkplatz, mitten in der Innenstadt, wo an diesem Freitagabend noch reichlich Betrieb war. Egal, wie müde ich war. Erst einmal musste ich dringend etwas essen, bevor ich mir eine Bleibe für die Nacht suchen konnte. Das Einzige, was ich heute zu mir genommen hatte, waren ein abgepacktes Sandwich und ein paar Butterkekse, die ich mir an einer Raststätte besorgt hatte.
Wie auf Befehl ließ mein Magen ein lautes Knurren hören. Seufzend griff ich nach meiner Mütze, die ich neben mir auf dem Beifahrersitz liegen hatte, und setzte sie auf. Meine Winterjacke lag im Kofferraum, und so öffnete ich die Tür, um auszusteigen.
Die kalte Winterluft schlug mir entgegen und ließ mich sofort frösteln. Kein Wunder, in zwei Wochen war Weihnachten und das Thermometer meines Wagens hatte mir eine Außentemperatur von Minus 5 Grad angezeigt.
Schnell zog ich den Schlüssel aus dem Zündschloss, stieg aus und holte meine Jacke.
Bibbernd schloss ich den Reißverschluss bis zum Kinn hoch. Jetzt noch den dicken Strickschal und die Handschuhe, dann konnte ich hoffentlich der Kälte trotzen und mich um etwas zum Abendessen kümmern.

Der Duft von gebrannten Mandeln, Glühwein und Bratwurst zog mir in die Nase, als ich am Rathaus vorbei in Richtung des Weihnachtsmarktes ging, und wieder ließ mein Magen ein deutlich vernehmbares Knurren hören.
Ich schob mich durch die Menschenmassen zwischen den vielen Ständen hindurch. Aus dem Augenwinkel sah ich eine Bude, an der handgemachter Schmuck verkauft wurde. Die Sachen dort waren günstig und gleich auf den ersten Blick fielen mir ein Paar wunderschöne Hängeohrringe ins Auge.
Verschieden große Strasssteinchen in einem dunklen Purpurrot waren zu einem Herzchen aufgefädelt. Einen Moment lang blieb ich stehen, um sie mir genauer anzusehen. Michael hatte nie verstanden, dass es mir egal war, ob mein Schmuck echt oder nur Modeschmuck war. Für ihn zählte immer nur, dass alles möglichst teuer und edel war.
„Kann ich Ihnen helfen?“, sprach die Verkäuferin mich an und ich schaute zu ihr auf. Ein hübsches junges Mädchen, mit Sicherheit eine Studentin, die sich hier ein wenig Taschengeld verdiente, sah mich freundlich an. Auf einmal weiteten sich ihre Augen, und ihr Mund öffnete sich, als wollte sie etwas sagen, doch es kam kein Ton heraus. Erschreckt starrte sie mich an, doch ich begriff nicht, warum. War mein Anblick etwa so furchtbar?
Schnell verneinte ich und ging weiter. Ich hatte nicht das Geld, mir Schmuck zu kaufen. Ich zog meine Mütze tiefer in die Stirn und senkte den Blick auf das Kopfsteinpflaster des Rathausplatzes.
An einer Wurstbude blieb ich stehen und bestellte mir eine Bratwurst und einen Becher heißen Kakao mit Sahne. Mittlerweile war mein Hunger so groß, dass ich klapprig wurde, und so schlang ich die Wurst viel zu schnell hinunter. Erst danach widmete ich mich dem kleinen Brötchen, das der Bratwurst beigelegt war, und trank in Ruhe von meinem heißen Kakao. Ich legte die Finger um den Becher und spürte, wie meine kalten Hände anfingen zu kribbeln. Erst als sie halbwegs aufgewärmt waren und der Kakao zur Hälfte leer war, stellte ich ihn auf den kleinen Stehtisch neben mir. Mir fiel auf, wie schön dieser Becher war. Dunkelblau und bedruckt mit einem liebevollen Weihnachtsmarktmotiv. Kurz fragte ich mich, wie viele von diesen Bechern wohl jeden Tag verschwanden, weil die Leute sie als Erinnerung behalten wollten. Obwohl ein hoher Pfandbetrag auf dem Becher war, konnte ich mir nicht vorstellen, dass tatsächlich alle auch wieder abgegeben wurden.
Nachdem ich auch den letzten Schluck genommen und das Brötchen aufgegessen hatte, ging es mir besser. Ich drehte noch eine Runde über den Weihnachtsmarkt. Viele Familien waren unterwegs und die Schlangen am Kinderkarussell und der kleinen Eisenbahn, die durch einen Märchenwald fuhr, waren lang.
Direkt vor meinen Füßen stolperte ein vielleicht zweijähriger Junge auf dem Kopfsteinpflaster des Marktplatzes und schlug lang hin. Es war wie ein Reflex, dass ich sofort in die Hocke ging und ihm aufhalf.
„Hey, alles okay, kleiner Mann? Was machst du denn da auf dem Boden? Hast du etwas verloren?“, fragte ich ihn und zwinkerte ihm lächelnd zu. Er grinste zurück, und ich war erleichtert, dass er sich anscheinend nicht wehgetan hatte. Dann schaute ich mich um, ob ich seine Mutter irgendwo entdecken konnte. Tatsächlich kam eine Frau hektisch zu uns herübergelaufen.
„Leon, was ist denn passiert?“
„Ist das Ihr Sohn?“, fragte ich die Frau, die mittlerweile neben uns hockte und dem Jungen imaginären Dreck vom Schneeanzug klopfte.
„Ja, ich war nur schnell am Schalter und hab Chips für das Karussell gekauft.“ Sie drehte den Kopf in meine Richtung. Plötzlich sprang sie auf und griff Leon am Ärmel.
„Komm mit! Und wehe, du haust wieder ab. Außerdem darfst du nicht mit Fremden sprechen!“, schimpfte sie, und ich ersparte uns beiden die Bemerkung, dass ihr Sohn ja gar nicht mit mir gesprochen hatte. Ich wäre eh nicht mehr dazu gekommen, denn sie zog ihn bereits am Arm hinter sich her. Über die Schulter warf der Junge mir noch ein Lächeln zu, bevor die beiden in der Menge verschwanden. Ich stand auf und ging weiter; was auch immer sie für ein Problem mit mir hatte, es war nicht meins. Ich hatte ihrem Knirps nur helfen wollen.
Die Wärme, die der Kakao kurzfristig in mir hinterlassen hatte, verzog sich wieder. Die Kälte drang unbarmherzig durch meine Jeans und ließ meine Beine so kalt werden, dass ich mich entschloss, in mein Auto zurückzukehren.
Ich stellte die Standheizung an und holte mein Smartphone aus der Tasche. Ich war heute Morgen so überstürzt aus München abgehauen, dass mir erst zweihundert Kilometer später aufgefallen war, dass ich kaum Bargeld in der Tasche hatte. Schnell hatte ich an einem Geldautomaten auf einem Rastplatz so viel abgehoben, wie ich mit der Kreditkarte bekommen hatte. Tausend Euro waren nicht viel. Zumindest dann nicht, wenn man bedachte, dass ich hier in Lüneburg weder einen Job noch einen Platz zum Schlafen hatte. Aber gut, der Job stand dann wohl für die nächsten Tage auf meiner To-do-Liste ganz oben, während ich mich schnellstmöglich um einen Schlafplatz kümmern musste. Glücklicherweise hatte ich mir vorhin an der Raststätte auch gleich eine Prepaid-Karte für mein Handy besorgt, so konnte ich nicht nur telefonieren, sondern es jetzt dafür nutzen, eine Unterkunft für die Nacht zu finden.
Nacheinander rief ich die Nummern an, die mir meine Internetsuche ausspuckte, doch alle waren entweder bereits ausgebucht oder viel zu teuer. Erst bei meinem elften Versuch hatte ich Glück. Die Dame am anderen Ende war zwar recht unfreundlich, hatte aber ein Zimmer für mich, was noch dazu bezahlbar war. Der Nachteil war, dass sich diese Pension ein wenig außerhalb der Stadt befand, aber gut, ich konnte nicht alles haben, mir war vorher klar gewesen, dass ich in meinem neuen Leben Abstriche würde machen müssen.
Eine halbe Stunde später stand ich vor der angegebenen Adresse. Ein altes, rotes Backsteinhaus mit einem für Niedersachsen typischen Giebel war das Ziel, das mein Navi mir anzeigte.
Stirnrunzelnd stand ich auf dem Gehsteig, meinen Koffer neben mir, und schaute den fast zugewachsenen Weg hinauf. Hier sollte die Pension sein? Das Haus sah aus, als wäre es seit Jahren schon nicht bewohnt. Völlig heruntergekommen!
Hätte nicht ein kleines verstecktes Schild darauf hingewiesen, dass dies das „Haus Barbara“ war, ich wäre vermutlich umgekehrt. Doch stattdessen ging ich den Weg zum Haus hinauf und betätigte die Klingel.
Nur wenig später wurde mir geöffnet und ich fühlte mich in meine Kindheit zurückversetzt. Genau genommen in die Zeit, als meine Mutter mir mit Vorliebe Märchen vorgelesen hatte. In diesem Falle erinnerte mich die Frau, der ich gegenüberstand, an die Abbildung der Hexe bei Hänsel und Gretel. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Wollte ich wirklich hierbleiben? Ich war mir nicht sicher, hatte aber auch keine andere Option. Mittlerweile wäre ich wohl so ziemlich überall geblieben, ich war so müde, dass ich kaum noch aus den Augen schauen konnte, und wünschte mir nichts sehnlicher, als mich auf einem Bett langzumachen.
„Was?“, blaffte die Frau mich an, und ihre Stimme klang, als würde sie täglich mehrere Zigarren rauchen.
„Ich … äh … hatte angerufen. Wegen eines Zimmers.“
„Ah, okay. Kommen Sie rein.“ Sie schob die Tür auf und trat beiseite, damit ich an ihr vorbei in den kleinen Eingangsbereich treten konnte.
Dann schlurfte sie hinter den dort stehenden Tresen und kramte in einem Schrank.
„Das da ausfüllen!“ Die Frau – ich vermutete, es war die im Namen der Pension genannte Barbara – schob mir einen Zettel über den Tisch. Ich überlegte nicht einmal, als ich mich mit dem Namen meiner Großmutter dort eintrug, doch als ich den Anmeldebogen zurückgab, hoffte ich, sie würde nicht nach einem Ausweis fragen. Jetzt erst schaute sie mich das erste Mal richtig an und legte den Kopf schief, während sie mich musterte.
„Ich will aber hier keinen Ärger haben! Dann fliegen Sie raus!“, betonte sie und nahm den Zettel an sich.
„Nein, ich werde Ihnen ganz sicher keinen Ärger machen!“, versprach ich.
„Dann ist ja gut. Okay, ihr Zimmer ist die Treppe rauf und dann das zweite rechts. Es gibt ein Gemeinschaftsbad auf dem Flur, aber Sie haben Glück, im Moment sind Sie die Einzige auf der Etage. Handtücher liegen auf dem Bett und werden einmal die Woche gewechselt. Frühstück gibt es nicht, das sagte ich ja bereits am Telefon. Aber Sie haben einen Kühlschrank auf dem Zimmer. Noch Fragen?“ Sie schob einen Schlüssel über den Tresen, an dem ein kleines Krokodil aus Metall baumelte. Was für ein ungewöhnlicher Schlüsselanhänger!
Ich nahm ihn an mich und wandte mich zur Treppe. Als ich bereits mit meinem Koffer auf dem Zwischenabsatz war, hörte ich sie noch einmal nach mir rufen.
„Denken Sie dran – wenn es Ärger gibt, fliegen Sie raus!“
Seufzend nahm ich die letzten Stufen in Angriff. Nein, ich würde ganz sicher keinen Ärger machen, ich war froh, wenn ich meine Ruhe hatte.

Müde stieß ich die Tür zu meinem Zimmer auf und schob den Koffer in die Ecke. Ein kurzer Rundumblick verriet mir, dass mein Zimmer ziemlich genau dem entsprach, was ich mir nach meinem ersten Blick auf das Haus bereits vorgestellt hatte. Die Möbel waren schlicht und stark abgenutzt. Außer dem Bett und einem kleinen Kleiderschrank stand nur ein Tischchen mit einem wacklig aussehenden Stuhl an der Wand neben dem Fenster. Vor diesen hingen verschlissene Vorhänge, die von einigen Löchern geziert wurden. Der versprochene Kühlschrank hatte definitiv auch schon bessere Tage gesehen und brummte laut in einer Ecke vor sich hin. Aber gut, immerhin schien das Zimmer halbwegs sauber zu sein, alles andere war mir gerade völlig egal. Erschöpft ließ ich mich auf das Bett fallen und versank innerhalb von Sekunden, so wie ich war, in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Mitten in der Nacht wurde ich wach, weil ich in meiner Winterjacke schwitzte und die Stiefel an meinen Füßen drückten.
Mit halb geschlossenen Augen zog ich mich aus und krabbelte unter die Decke, die ein wenig unangenehm nach Mottenkugeln roch. Doch auch das interessierte mich nicht wirklich, ich war viel zu müde und schlief sofort wieder ein.

~*~

Möchtest du wissen, wie es weitergeht? 

Dies war das erste Kapitel unseres Winter-Romans "Kuschelkeks und Schneegestöber", der gerade als E-Book für nur 99 Cent im Angebot ist. 

Wo? 

Wer mag, kann direkt weiterlesen ... 

Freitag, 12. Oktober 2018

Allein ist man weniger einsam

Hallo ihr Lieben!

Und schon ist wieder Freitag - und damit Blogtag.

Habt viel Spaß beim Lesen und kommt gut ins Wochenende - das Wetter soll ja traumhaft werden. Sommer im Herbst ... hat was, finde ich. 😉🍁🍂🌞


Allein ist man weniger einsam ... 

Ich hab das neulich in einer Runde so dahergesagt. Für mich macht dieser Satz total Sinn, aber nicht jeder konnte etwas damit anfangen. Mancher meinte, es würde sich total widersprechen. Nun ... Ich finde nicht. 

Zuerst einmal - wie sieht es bei dir aus? Kannst du mit diesem Satz was anfangen? Und wie fühlst du dich, wenn du ganz mit dir allein bist? Einsam? Oder "nur" allein?

Okay, ich frage mal anders ... Schaffst du es, dich selbst über einen längeren Zeitraum zu ertragen?
Die Frage ist zugegebenermaßen ziemlich provokant. 😜 Allerdings ist es wohl tatsächlich etwas, was viele Menschen nicht können. Mit sich allein sein. Sich selbst aushalten und ertragen.

Ich gebe zu, das ist auch gar nicht so leicht. Zumindest nicht, wenn man es "richtig" macht ... 

Ich fand es früher auch schwierig, mit mir allein zu sein. Mal nicht unter Leuten, ohne Ablenkung von außen, nur auf mich selbst konzentriert.
Allein in der Wohnung war noch eine Sache - das ging immer irgendwie. Da konnte ich mich von mir selbst ablenken und musste mich nicht mit mir beschäftigen. Ich konnte Musik hören, lesen, aufräumen, sauber machen ... Ach, irgendwas fällt einem ja immer ein, was man machen kann.
Aber allein rausgehen? Oder gar allein in den Urlaub fahren. An einen fremden Ort, wo man niemanden kennt? Das war für mich absolut undenkbar! Eine regelrecht furchtbare Vorstellung! 

Ich mochte nicht mal allein ins Kino oder irgendwo einen Kaffee trinken gehen. Nicht nur, weil ich es schwierig fand, niemanden zum Reden bei mir zu haben. Ich habe mir auch immer überlegt, was die Leute wohl von mir denken, wenn sie mich so einsam im Café sitzen sehen. 

Dass ich eine arme einsame Jungfer bin? 
Dass niemand was mit mir zu tun haben möchte? 
Dass ich keine Freunde habe, die mit mir Kaffee trinken und ich es nur deshalb ganz allein mache? 

Ja, solche und ähnliche Überlegungen kamen mir früher.
Doch irgendwann, vor ein paar Jahren, hat es sich verändert. Ich war Single und ich wollte in den Urlaub fahren. Wir wissen alle, ab einem gewissen Alter ist es gar nicht mehr so leicht, jemanden zum Mitreisen zu finden. Die Freunde haben Partner, Familien, Kinder ... Als Single, der ohne Kinder reisen möchte, ist es nicht so einfach und da meine Kinder zu der Zeit Schule hatten, war es keine Option, sie mitzunehmen.
Also habe ich mir ein Herz gefasst und habe mir eine kleine Ferienwohnung auf Sylt gebucht. Ja, erster Urlaub allein war gleichzeitig mein zweiter Besuch dieser wunderschönen Insel.
Mit ganz viel Angst und Aufregung im Bauch bin ich losgefahren. Die Vorstellung, eine Woche lang mit niemandem, außer einer Kassiererin im Supermarkt oder einer Bedienung im Café zu sprechen, war schon ziemlich beängstigend.
Allerdings war diese Angst nach dem Ankommen und Beziehen der Wohnung vergessen. Ich habe mich treiben lassen und in kürzester Zeit festgestellt, wie großartig es sich anfühlt, einfach tun und lassen zu können, was ich möchte.
Niemand war da, nach dem ich mich richten musste! 😊

Wollen wir hier einen Kaffee trinken? 
Oder doch weiter laufen? 
Möchtest du an den Strand oder lieber shoppen? 
Wo willst du heute Abend essen gehen? 
Oder soll ich was kochen?

Pffft - solche Fragen stellten sich nicht! Keiner war da, der mit entscheiden wollte - es war von vorne bis hinten ein Urlaub, in dem es nur um mich ging. Darum, was ich möchte und was mir gut tut. Was ich gerade brauche - und vor allem will! 
Ich selbst habe mir damit etwas so unglaublich Gutes getan, dass mir nachein paar Tagen klar war, dass es nicht das letzte Mal gewesen ist. Ich wollte immer wieder allein in den Urlaub fahren. 
Versteht mich nicht falsch ... Ich fahre ebenso gern mit meiner Familie und mit Freunden in den Urlaub, aber eben nicht mehr NUR ... 😊
Diese "Alleinezeit", diese Urlaube nur mit der Wauz, sind mittlerweile ganz fest integriert sind und ich möchte sie nicht wieder wegdenken!

Ich habe festgestellt, dass es mir völlig wurscht ist, ob die Menschen mich für einsam halten, weil ich allein essen gehe. Ob sie denken, dass mich niemand mag oder ich keine Freunde habe. 
Ich achte nicht mehr darauf, ob ich merkwürdig angesehen werde. Und selbst wenn, würde ich diese Blicke vermutlich nicht mal mehr als merkwürdig verstehen.
Ich habe gelernt, mich selbst zu ertragen - auch ohne ständig beschäftigt zu sein. 
Ich habe gelernt, mich selbst und meine Zeit mit mir zu genießen. Selbst wenn ich nicht beschäftigt bin, sondern nur meinen Tagträumen nachhänge.
Und ich habe noch etwas gelernt - und das ist vielleicht das Wichtigste daran ...

Ich habe gelernt, dass Allein sein nicht gleich Einsam sein bedeutet. Im Gegenteil! Gerade unter vielen Menschen fühle ich mich viel eher verloren und einsam. Da bin ich nicht allein - aber manchmal dennoch einsam ... 
Daher brauche ich meine "Alleinezeit". 

Ich bin mir mittlerweile selbst so viel wert, dass ich Zeit mit mir verbringen möchte.
So wie ich Zeit mit meinen Freunden verbringen möchte.

Ich mag mich so, wie ich bin. 
Und manchmal bin ich allein mir lieber, als Menschen um mich herum zu haben. 
Ich brauche meine Zeit mit mir. Und ich wünsche mir Zeit mit mir.

Wie ist es bei dir? Bist du gern mit dir allein? Oder findest du es schwierig, dich selbst auszuhalten?
Bist du manchmal allein auch weniger einsam? 

Vielleicht denkst du ja mal drüber nach ... 😉

Liebe Grüße💕
Deine Juli



Sonntag, 7. Oktober 2018

Schmetterlinge fliegen leise ...

Guten Morgen! 
Wie versprochen gibt es heute eine etwas längere Leseprobe von "Schmetterlinge fliegen leise - Sommer in Colins Creek". 
Um genau zu sein - das komplette erste Kapitel! 

Und Anfang November könnt ihr dann weiterlesen. Denn dann erscheint das Buch über den OBO Verlag. 😍😊

Aber nun erstmal viel Spaß beim Lesen! 💗



Laufen lernen

Ich war ungefähr sieben Jahre, als ich das erste Mal die große alte Turnhalle betrat, um zum Ballettunterricht zu gehen.
Wenn ich sagen würde, dass ich mich an dieses erste Mal erinnere, würde ich lügen, denn diesem einen Mal folgten unzählige weitere und in meiner Erinnerung verschwimmen sie alle ineinander. Aber ich weiß, dass dieses Gefühl, das ich beim ersten Betreten der Halle hatte, blieb. Diese Ehrfurcht, diese Aufregung, diese Sehnsucht, obwohl ich nicht einmal wusste, wonach.
Auch Jahre, Jahrzehnte später blieb es und ich wusste, es würde mich bis an mein Lebensende begleiten. Diese alte Turnhalle veränderte mein Leben. In ihr lernte ich laufen. Nein, natürlich nicht wirklich laufen, so wie man es als Kleinkind lernt. Aber in ihr lernte ich, was für mich zum Laufen wurde.
Ich lernte, zu tanzen. 
In dieser alten Turnhalle fing es an.
Noch immer nahm ich diesen besonderen Duft  nach Holz, Schweiß, Farbe und dem Staub wahr, der im Gemäuer und unter den offenen Dachbalken hing.
Ein ganz eigenes Gefühl durchströmte mich, wenn ich die schwere hölzerne Flügeltür aufschob. Ich sah die Schnitzereien längst vergangener Zeiten, übergestrichen in verschiedenen Grautönen. Lack, der durch die Jahre bröckelig geworden war, winzig kleine Wurmlöcher, Risse im trockenen Holz.
Wenn ich die Tür öffnete, atmete ich tief ein. Jedes Mal. Ich spürte, wie ich ankam. Es war ein „nach Hause kommen“.
Mein Blick fiel auf die Ballettstangen, die an der gegenüberliegenden Wand angebracht waren und eine merkwürdige Aufregung durchzog mich. Ich schaute hoch zu der schier unendlich weit entfernten Hallendecke, sah die dicken Balken des Fachwerks.
Später, als ich größer war, lernte ich, dass diese alte Turnhalle unter Denkmalschutz stand. Damals schon war sie weit über hundert Jahre alt. Ein Jahrhundert. Ein Jahrhundert, das seine Spuren hinterlassen und dem Gebäude einen ganz eigenen Charme gegeben hatte.
Ich erinnerte mich, wie stickig es in den Sommermonaten war. Wie kalt, wenn der Winterwind durch die Ritzen im Gemäuer zog.
Viele Stunden habe ich dort verbracht und getanzt. Schweiß lief in Strömen, während wir unsere Übungen an der Stange machten. Plié, Relevé, Grand battement jeté …
Ich war sieben Jahre alt, als ich meine erste Ballettstunde besuchte. Die ganzen französischen Begriffe klangen fremd in meinen Ohren – allerdings musste ich zu meiner Schande gestehen, dass ich auch nach Jahrzehnten des Balletts noch immer meine Probleme damit hatte. Es war wohl einfach nicht meine Sprache. Aber die Sprache war mir immer unwichtig. Wichtig war nur der Tanz. Das Gefühl, mich komplett mit Leib und Seele der Musik hinzugeben.
Später kamen diverse andere Arten des Tanzes hinzu. Von Hip Hop bis Stepptanz, von Rock’n‘Roll bis Walzer – ich habe alles ausprobiert. Und ich habe es geliebt! Ich wusste schnell, ohne das Tanzen konnte ich nicht leben. Und mein Tanz lebte durch mich. Es klang vielleicht etwas melodramatisch, aber das ist es, was ein Tänzer es empfindet.
Tanzen ist kein Sport – Tanzen ist ein Gefühl.

Die ersten Ballettstunden verbrachte ich an einem Platz in der Mitte der Stange. Vor jeder Stunde stellte unser Ballettlehrer uns auf. Ein, aus meinen kindlichen Augen betrachtet, alter Mann mit schlohweißen Haaren, der sich kerzengerade hielt. Schweigend schob er uns auf unsere Plätze. Schaute immer wieder nachdenklich die Reihe der Kinder entlang, ließ uns tauschen, bis wir alle zu seiner Zufriedenheit standen. Ich blieb an meinem Platz in der Mitte. Schnell begriff ich, warum das so war. Während der Übungen wechselte die Blickrichtung. Vorne wurde zu hinten und hinten zu vorne. Er hatte durch sein Verteilen der Plätze dafür gesorgt, Anfänger und Fortgeschrittene zu mischen, damit man im Notfall immer jemanden hatte, an dem man sich orientieren konnte. Schlau! Dennoch wollte auch ich einmal ganz vorne oder ganz hinten stehen dürfen, dort wo die besten Ballettschüler ihren Platz hatten.
Es dauerte nicht lange und ich wanderte an dieser Stange. Weg von der Mitte. Aus der Anfängerin, die ich einmal gewesen war, wurde eine Fortgeschrittene. Es war nicht so, dass ich besonders hart dafür trainierte, nein, wie der Zufall – oder meine Genetik – es so wollten, war ich einfach überdurchschnittlich beweglich. Ein nicht zu verachtender Vorteil im Ballett, obwohl es natürlich längst nicht alles bedeutete. Vielleicht hatte ich aber auch einfach nur Talent.
Schnell wurde mir klar, was man als allererstes lernt. Es war kein Plié, keine Pirouette. Nein, es war etwas ganz anderes.
Disziplin.
Alles stand und fiel mit der Disziplin.
Es war egal, ob die Muskeln schmerzten, ob die Luft vor Anstrengung knapp wurde. Es war egal, ob ich mir Blasen an den Füßen getanzt hatte - ich lernte, den Schmerz zu ignorieren. Ihn zu kontrollieren und diese Kontrolle niemals aufzugeben.
Bis heute hallten die Worte meines Ballettlehrers in mein Ohr:
„Wenn du noch sagen kannst, du kannst nicht mehr, dann kannst du noch!“
Ich weiß nicht, wie oft ich diese Worte hörte, aber sie haben sich eingebrannt und ich konnte sie nie vergessen.
Nach ungefähr zwei oder drei Jahren ging mein Ballettlehrer in Rente und die Gruppe löste sich auf. Dennoch ist dieser Satz bis heute ganz tief in mir verankert.
In meinem Herzen.
In meiner Seele.
„Wenn du noch sagen kannst, du kannst nicht mehr, dann kannst du noch!“
Und nun?
Nun stand ich hier. Auf dem Fußweg gegenüber dieser alten Turnhalle. Mittlerweile existierte sie nicht mehr. Ein Feuer hatte sie vor anderthalb Jahren dem Erdboden gleichgemacht. Nur der leere, vom Unkraut überwucherte Platz mit dem Bauzaun drum herum erinnerte noch daran, dass hier, mitten in der Stadt einmal eine uralte Turnhalle gestanden hatte. Doch das Gefühl war noch immer dasselbe. Als wäre diese Halle noch dort, auf der anderen Straßenseite.
Die Halle, in der ich gelernt habe, zu laufen.
Und ich?
Ich dachte an die Worte meines Ballettlehrers, die mich so geprägt hatten, und nach denen ich bis heute lebte. Diese Worte waren es, die mich antrieben und die mich dorthin gebracht hatten, wo ich heute war.

Ich wusste nicht mehr, wie lange ich dort stand. Ich bekam auch nicht mit, ob mich vorbeikommende Fußgänger merkwürdig anschauten. Mit Sicherheit war es so. Ich musste ein komisches Bild abgeben, wie ich dort stand und bewegungslos auf das leere Grundstück starrte. Erst ein leises Wimmern schaffte es, mich in die Wirklichkeit zurückzuholen. Sofort schlich sich ein Lächeln auf meine Lippen und ich senkte meinen Blick zu dem warmen Bündel vor meiner Brust. Mein Baby rekelte sich im Halbschlaf in ihrem Tragetuch vor meinem Bauch. Zärtlich streichelte ich Paulas Rücken und sofort beruhigte sie sich. Dennoch wurde es Zeit zu gehen. Nicht mehr lang, dann würde sie erwachen und Hunger bekommen.

~*~

Erschöpft ließ ich mich einige Stunden später auf mein Sofa fallen, legte den Kopf gegen die Rücklehne und schloss die Augen. Mit angehaltenem Atem lauschte ich, ob das Babyfon auf dem Couchtisch einen Laut von sich gab. Erst nach ein paar Minuten atmete ich erleichtert auf. Meine Kleine schien tatsächlich zu schlafen. Endlich!
Ich spürte, wie ich mich mehr und mehr entspannte, wie ich schläfrig wurde, und riss schnell die Augen auf. Ich durfte noch nicht einschlafen. Auch wenn ich so müde war, dass ich gerade nichts lieber täte. Doch ich hatte noch mehr als genug zu tun. Mein Blick wanderte auf die Leuchtziffern an meinem Blu-Ray-Player. 21:23. Seufzend schaute ich mich in meinem Wohnzimmer um. Der Wäschekorb mit der gewaschenen Wäsche wartete seit drei Tagen auf mich, mein Spüler in der Küche mit dem sauberen Geschirr war mittlerweile halbleer, weil ich mich direkt daraus bediente, dafür stand die Ablage voll mit schmutzigem. Wann meine Fenster das letzte Mal geputzt worden waren, konnte ich nicht mal mehr dem Monat nach benennen. Ja, meine Wohnung versank im Chaos, während ich versuchte, mein Baby und meinen Vollzeitjob unter einen Hut zu bringen.
Apropos Job …
Ich sprang auf, als mir siedend heiß einfiel, dass morgen eine wichtige Besprechung anstand. Ich sollte eine Präsentation neuer Marketingstrategien für unser Kaufhaus halten, für die ich noch nichts vorbereitet hatte. Schnell fuhr ich meinen Laptop hoch und suchte meine Notizen heraus. Um das alles ins Reine zu bringen und eine vorzeigbare PowerPoint-Präsentation zu erschaffen, würde ich vermutlich mindestens zwei Stunden benötigen. Adios, Schlaf! Du musst noch ein wenig warten.
Gerade als ich mich in meinen Laptop einloggte, klingelte mein Telefon.
„Du hast auch echt einen siebten Sinn“, murmelte ich vor mich hin, als ich den Namen auf dem Display erkannte.
„Hallo, Mutter. Was gibt’s?“, fragte ich, nachdem ich den Anruf entgegengenommen hatte,  obwohl ich genau wusste, was sie wollte. Immerhin war es nicht das erste Mal, dass sie mich um diese späte Uhrzeit anrief und es ging immer um die Arbeit. Aber damit musste man wohl leben, wenn die eigene Mutter gleichzeitig auch die Chefin war.
„Guten Abend, Nele. Ich wollte dich nur daran erinnern, dass du morgen früh pünktlich bist. Um 8:30 Uhr trifft sich der Vorstand mit den Abteilungsleitern. Nicht, dass du mal wieder zu spät kommst, weil irgendwas mit dem Kind ist.“
Argh! Am liebsten hätte ich laut aufgeschrien. „Das Kind“ war immerhin ihre Enkelin. Abgesehen davon klang es so, als würde ich fast täglich zu spät bei der Arbeit erscheinen, was definitiv nicht stimmte. Bloß ein einziges Mal in den letzten Monaten war es vorgekommen und da hatte es nicht an meiner Tochter, sondern an einem platten Autoreifen gelegen.
„Das Kind heißt Paula, Mutter. Und keine Sorge, ich werde pünktlich sein!“
„Gut! Ich wollte nur sicher gehen. Vergiss deine Präsentation nicht.“
Ohne ein weiteres Wort legte meine Mutter auf. Enttäuscht seufzte ich und schüttelte den Kopf. Sie hatte nicht mal gefragt, wie es der Kleinen ging. So war es immer und eigentlich sollte ich mich nach über vier Monaten daran gewöhnt haben. Trotzdem tat es mir jedes Mal weh.
Ich bemühte mich, den Schmerz beiseite zu schieben und mich auf meine Arbeit zu konzentrieren, ich würde meine Mutter wohl nicht ändern können, egal, wie sehr ich es mir wünschte. Und die Präsentation war jetzt wichtiger, immerhin wollte ich heute noch irgendwann in mein Bett. Mein Haushalt musste noch einen weiteren Tag warten. Morgen Abend war auch noch Zeit und vielleicht würde Paula dann ja nicht zwei Stunden zum Einschlafen brauchen wie heute. Die Hoffnung starb schließlich zuletzt.