Na, hast du genug vom warmen Wetter und sehnst dich nach dem Winter? ⛄
Träumst du schon von langen Spaziergängen im Schnee?
Davon, dich danach vor einem Kaminfeuer bei einer Tasse Tee oder heißer Schokolade wieder aufzuwärmen? 🍵
Dann habe ich vielleicht was für dich ... 😊💕
Viel Spaß beim heutigen Blog.
Deine Juli 💞
Meine Flucht
Es war
bereits dunkel, als ich auf den kleinen Parkplatz hinter dem Lüneburger Rathaus
fuhr. Seufzend stellte ich den Motor meines schwarzen SUV ab und lehnte mich in
den lederbezogenen Sitz zurück. Für einen Moment schloss ich meine Augen. Ich
war endlich angekommen. Nach fast neun Stunden Fahrt quer durch Deutschland
hatte ich mein Ziel erreicht. Diese kleine Stadt im Norden unseres Landes
sollte mein neuer Anfang sein, hier würde ich meine Ruhe haben, hoffte ich.
Ich spürte,
wie ich anfing, wegzudämmern, und riss mit Gewalt meine Augen wieder auf. Nicht
einschlafen, nicht hier auf dem Parkplatz, mitten in der Innenstadt, wo an
diesem Freitagabend noch reichlich Betrieb war. Egal, wie müde ich war. Erst
einmal musste ich dringend etwas essen, bevor ich mir eine Bleibe für die Nacht
suchen konnte. Das Einzige, was ich heute zu mir genommen hatte, waren ein
abgepacktes Sandwich und ein paar Butterkekse, die ich mir an einer Raststätte
besorgt hatte.
Wie auf
Befehl ließ mein Magen ein lautes Knurren hören. Seufzend griff ich nach meiner
Mütze, die ich neben mir auf dem Beifahrersitz liegen hatte, und setzte sie
auf. Meine Winterjacke lag im Kofferraum, und so öffnete ich die Tür, um
auszusteigen.
Die kalte
Winterluft schlug mir entgegen und ließ mich sofort frösteln. Kein Wunder, in
zwei Wochen war Weihnachten und das Thermometer meines Wagens hatte mir eine
Außentemperatur von Minus 5 Grad angezeigt.
Schnell zog
ich den Schlüssel aus dem Zündschloss, stieg aus und holte meine Jacke.
Bibbernd
schloss ich den Reißverschluss bis zum Kinn hoch. Jetzt noch den dicken
Strickschal und die Handschuhe, dann konnte ich hoffentlich der Kälte trotzen
und mich um etwas zum Abendessen kümmern.
Der Duft
von gebrannten Mandeln, Glühwein und Bratwurst zog mir in die Nase, als ich am
Rathaus vorbei in Richtung des Weihnachtsmarktes ging, und wieder ließ mein
Magen ein deutlich vernehmbares Knurren hören.
Ich schob
mich durch die Menschenmassen zwischen den vielen Ständen hindurch. Aus dem
Augenwinkel sah ich eine Bude, an der handgemachter Schmuck verkauft wurde. Die
Sachen dort waren günstig und gleich auf den ersten Blick fielen mir ein Paar
wunderschöne Hängeohrringe ins Auge.
Verschieden
große Strasssteinchen in einem dunklen Purpurrot waren zu einem Herzchen
aufgefädelt. Einen Moment lang blieb ich stehen, um sie mir genauer anzusehen.
Michael hatte nie verstanden, dass es mir egal war, ob mein Schmuck echt oder
nur Modeschmuck war. Für ihn zählte immer nur, dass alles möglichst teuer und
edel war.
„Kann ich
Ihnen helfen?“, sprach die Verkäuferin mich an und ich schaute zu ihr auf. Ein
hübsches junges Mädchen, mit Sicherheit eine Studentin, die sich hier ein wenig
Taschengeld verdiente, sah mich freundlich an. Auf einmal weiteten sich ihre
Augen, und ihr Mund öffnete sich, als wollte sie etwas sagen, doch es kam kein
Ton heraus. Erschreckt starrte sie mich an, doch ich begriff nicht, warum. War
mein Anblick etwa so furchtbar?
Schnell
verneinte ich und ging weiter. Ich hatte nicht das Geld, mir Schmuck zu kaufen.
Ich zog meine Mütze tiefer in die Stirn und senkte den Blick auf das
Kopfsteinpflaster des Rathausplatzes.
An einer
Wurstbude blieb ich stehen und bestellte mir eine Bratwurst und einen Becher
heißen Kakao mit Sahne. Mittlerweile war mein Hunger so groß, dass ich klapprig
wurde, und so schlang ich die Wurst viel zu schnell hinunter. Erst danach
widmete ich mich dem kleinen Brötchen, das der Bratwurst beigelegt war, und
trank in Ruhe von meinem heißen Kakao. Ich legte die Finger um den Becher und
spürte, wie meine kalten Hände anfingen zu kribbeln. Erst als sie halbwegs
aufgewärmt waren und der Kakao zur Hälfte leer war, stellte ich ihn auf den
kleinen Stehtisch neben mir. Mir fiel auf, wie schön dieser Becher war.
Dunkelblau und bedruckt mit einem liebevollen Weihnachtsmarktmotiv. Kurz fragte
ich mich, wie viele von diesen Bechern wohl jeden Tag verschwanden, weil die
Leute sie als Erinnerung behalten wollten. Obwohl ein hoher Pfandbetrag auf dem
Becher war, konnte ich mir nicht vorstellen, dass tatsächlich alle auch wieder
abgegeben wurden.
Nachdem ich
auch den letzten Schluck genommen und das Brötchen aufgegessen hatte, ging es
mir besser. Ich drehte noch eine Runde über den Weihnachtsmarkt. Viele Familien
waren unterwegs und die Schlangen am Kinderkarussell und der kleinen Eisenbahn,
die durch einen Märchenwald fuhr, waren lang.
Direkt vor
meinen Füßen stolperte ein vielleicht zweijähriger Junge auf dem
Kopfsteinpflaster des Marktplatzes und schlug lang hin. Es war wie ein Reflex,
dass ich sofort in die Hocke ging und ihm aufhalf.
„Hey, alles
okay, kleiner Mann? Was machst du denn da auf dem Boden? Hast du etwas
verloren?“, fragte ich ihn und zwinkerte ihm lächelnd zu. Er grinste zurück,
und ich war erleichtert, dass er sich anscheinend nicht wehgetan hatte. Dann
schaute ich mich um, ob ich seine Mutter irgendwo entdecken konnte. Tatsächlich
kam eine Frau hektisch zu uns herübergelaufen.
„Leon, was
ist denn passiert?“
„Ist das Ihr
Sohn?“, fragte ich die Frau, die mittlerweile neben uns hockte und dem Jungen
imaginären Dreck vom Schneeanzug klopfte.
„Ja, ich
war nur schnell am Schalter und hab Chips für das Karussell gekauft.“ Sie
drehte den Kopf in meine Richtung. Plötzlich sprang sie auf und griff Leon am
Ärmel.
„Komm mit!
Und wehe, du haust wieder ab. Außerdem darfst du nicht mit Fremden sprechen!“,
schimpfte sie, und ich ersparte uns beiden die Bemerkung, dass ihr Sohn ja gar
nicht mit mir gesprochen hatte. Ich wäre eh nicht mehr dazu gekommen, denn sie
zog ihn bereits am Arm hinter sich her. Über die Schulter warf der Junge mir
noch ein Lächeln zu, bevor die beiden in der Menge verschwanden. Ich stand auf
und ging weiter; was auch immer sie für ein Problem mit mir hatte, es war nicht
meins. Ich hatte ihrem Knirps nur helfen wollen.
Die Wärme,
die der Kakao kurzfristig in mir hinterlassen hatte, verzog sich wieder. Die
Kälte drang unbarmherzig durch meine Jeans und ließ meine Beine so kalt werden,
dass ich mich entschloss, in mein Auto zurückzukehren.
Ich stellte
die Standheizung an und holte mein Smartphone aus der Tasche. Ich war heute
Morgen so überstürzt aus München abgehauen, dass mir erst zweihundert Kilometer
später aufgefallen war, dass ich kaum Bargeld in der Tasche hatte. Schnell
hatte ich an einem Geldautomaten auf einem Rastplatz so viel abgehoben, wie ich
mit der Kreditkarte bekommen hatte. Tausend Euro waren nicht viel. Zumindest
dann nicht,
wenn man bedachte, dass ich hier in Lüneburg weder einen Job noch einen Platz
zum Schlafen hatte. Aber gut, der Job stand dann wohl für die nächsten Tage auf
meiner To-do-Liste ganz oben, während ich mich schnellstmöglich um einen
Schlafplatz kümmern musste. Glücklicherweise hatte ich mir vorhin an der
Raststätte auch gleich eine Prepaid-Karte für mein Handy besorgt, so konnte ich
nicht nur telefonieren, sondern es jetzt dafür nutzen, eine Unterkunft für die
Nacht zu finden.
Nacheinander
rief ich die Nummern an, die mir meine Internetsuche ausspuckte, doch alle
waren entweder bereits ausgebucht oder viel zu teuer. Erst bei meinem elften
Versuch hatte ich Glück. Die Dame am anderen Ende war zwar recht unfreundlich,
hatte aber ein Zimmer für mich, was noch dazu bezahlbar war. Der Nachteil war,
dass sich diese Pension ein wenig außerhalb der Stadt befand, aber gut, ich
konnte nicht alles haben, mir war vorher klar gewesen, dass ich in meinem neuen
Leben Abstriche würde machen müssen.
Eine halbe
Stunde später stand ich vor der angegebenen Adresse. Ein altes, rotes
Backsteinhaus mit einem für Niedersachsen typischen Giebel war das Ziel, das
mein Navi mir anzeigte.
Stirnrunzelnd
stand ich auf dem Gehsteig, meinen Koffer neben mir, und schaute den fast
zugewachsenen Weg hinauf. Hier sollte die Pension sein? Das Haus sah aus, als
wäre es seit Jahren schon nicht bewohnt. Völlig heruntergekommen!
Hätte nicht
ein kleines verstecktes Schild darauf hingewiesen, dass dies das „Haus Barbara“
war, ich wäre vermutlich umgekehrt. Doch stattdessen ging ich den Weg zum Haus
hinauf und betätigte die Klingel.
Nur wenig
später wurde mir geöffnet und ich fühlte mich in meine Kindheit zurückversetzt.
Genau genommen in die Zeit, als meine Mutter mir mit Vorliebe Märchen
vorgelesen hatte. In diesem Falle erinnerte mich die Frau, der ich
gegenüberstand, an die Abbildung der Hexe bei Hänsel und Gretel. Ein Schauer
lief mir über den Rücken. Wollte ich wirklich hierbleiben? Ich war mir nicht
sicher, hatte aber auch keine andere Option. Mittlerweile wäre ich wohl so
ziemlich überall geblieben, ich war so müde, dass ich kaum noch aus den Augen
schauen konnte, und wünschte mir nichts sehnlicher, als mich auf einem Bett
langzumachen.
„Was?“,
blaffte die Frau mich an, und ihre Stimme klang, als würde sie täglich mehrere
Zigarren rauchen.
„Ich … äh …
hatte angerufen. Wegen eines Zimmers.“
„Ah, okay.
Kommen Sie rein.“ Sie schob die Tür auf und trat beiseite, damit ich an ihr
vorbei in den kleinen Eingangsbereich treten konnte.
Dann
schlurfte sie hinter den dort stehenden Tresen und kramte in einem Schrank.
„Das da
ausfüllen!“ Die Frau – ich vermutete, es war die im Namen der Pension genannte
Barbara – schob mir einen Zettel über den Tisch. Ich überlegte nicht einmal,
als ich mich mit dem Namen meiner Großmutter dort eintrug, doch als ich den
Anmeldebogen zurückgab, hoffte ich, sie würde nicht nach einem Ausweis fragen.
Jetzt erst schaute sie mich das erste Mal richtig an und legte den Kopf schief,
während sie mich musterte.
„Ich will
aber hier keinen Ärger haben! Dann fliegen Sie raus!“, betonte sie und nahm den
Zettel an sich.
„Nein, ich
werde Ihnen ganz sicher keinen Ärger machen!“, versprach ich.
„Dann ist
ja gut. Okay, ihr Zimmer ist die Treppe rauf und dann das zweite rechts. Es
gibt ein Gemeinschaftsbad auf dem Flur, aber Sie haben Glück, im Moment sind Sie
die Einzige auf der Etage. Handtücher liegen auf dem Bett und werden einmal die
Woche gewechselt. Frühstück gibt es nicht, das sagte ich ja bereits am Telefon.
Aber Sie haben einen Kühlschrank auf dem Zimmer. Noch Fragen?“ Sie schob einen
Schlüssel über den Tresen, an dem ein kleines Krokodil aus Metall baumelte. Was
für ein ungewöhnlicher Schlüsselanhänger!
Ich nahm
ihn an mich und wandte mich zur Treppe. Als ich bereits mit meinem Koffer auf
dem Zwischenabsatz war, hörte ich sie noch einmal nach mir rufen.
„Denken Sie
dran – wenn es Ärger gibt, fliegen Sie raus!“
Seufzend
nahm ich die letzten Stufen in Angriff. Nein, ich würde ganz sicher keinen
Ärger machen, ich war froh, wenn ich meine Ruhe hatte.
Müde stieß
ich die Tür zu meinem Zimmer auf und schob den Koffer in die Ecke. Ein kurzer
Rundumblick verriet mir, dass mein Zimmer ziemlich genau dem entsprach, was ich
mir nach meinem ersten Blick auf das Haus bereits vorgestellt hatte. Die Möbel
waren schlicht und stark abgenutzt. Außer dem Bett und einem kleinen
Kleiderschrank stand nur ein Tischchen mit einem wacklig aussehenden Stuhl an
der Wand neben dem Fenster. Vor diesen hingen verschlissene Vorhänge, die von
einigen Löchern geziert wurden. Der versprochene Kühlschrank hatte definitiv
auch schon bessere Tage gesehen und brummte laut in einer Ecke vor sich hin.
Aber gut, immerhin schien das Zimmer halbwegs sauber zu sein, alles andere war
mir gerade völlig egal. Erschöpft ließ ich mich auf das Bett fallen und versank
innerhalb von Sekunden, so wie ich war, in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Mitten in
der Nacht wurde ich wach, weil ich in meiner Winterjacke schwitzte und die
Stiefel an meinen Füßen drückten.
Mit halb geschlossenen
Augen zog ich mich aus und krabbelte unter die Decke, die ein wenig unangenehm
nach Mottenkugeln roch. Doch auch das interessierte mich nicht wirklich, ich
war viel zu müde und schlief sofort wieder ein.
~*~
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